Zuger Anerkennungspreis 2005 "Ein Faible für unmögliche Besetzungen" von Doris Stalder, Neue Zuger Zeitung, 2. Februar 2005

Zeitlich gesehen könnte Carl Rütti sich schon längst ganz aufs Komponieren verlegen. Seine Musik ist so begehrt, dass er viele Anfragen gar nicht berücksichtigen kann.

«Beim Komponieren ist es wie mit einer Pflanze. Sie wächst und ist dann da», sagt Carl Rütti schlicht. Er muss es wissen. 119 Werke, bestehend aus 376 Teilen umfasst sein Œuvre bis heute. Oder anders ausgedrückt: 34 Stunden Musik. Das würde schon beeindrucken, wenn das Komponieren seine Haupttätigkeit wäre. Doch die ist seit 1972 der Unterricht am Konservatorium Zürich. Eine Arbeit, die er immer noch als sehr interessant empfindet. Und dann ist Carl Rütti ja auch noch als Organist in Oberägeri tätig und tritt regelmässig als Interpret in Konzerten auf. Ihm behagt dieses Pendeln zwischen den verschiedenen Tätigkeiten, die sich ja auch gegenseitig bereichern. Und schliesslich bedeutet Komponieren heutzutage zwar Erfüllung und Ansehen; leben lässt sich davon aber kaum.

Rütti, der Engländer

Dennoch stapeln sich die Anfragen auf dem Pult des Musikers. Er hat sich in all den Jahren einen guten Ruf «erschrieben». Man kennt und schätzt seine Arbeit. Vielleicht auch deshalb, weil seine Musik keine abstrakten Gebilde sind, sondern die Menschen wirklich erreicht, ohne sich dabei anzubiedern oder ins Banale abzurutschen. Man spürt einfach die Echtheit. Sein guter Ruf beschränkt sich keineswegs nur auf die Schweiz. Seit seinen Studienjahren hat Carl Rütti eine starke Verbindung nach England, dessen Chortradition so prägend für ihn war. Die Wertschätzung ist gegenseitig. Ein gutes Beispiel dafür ist das Weihnachtskonzert der Universität Cambridge, welches mittlerweile Kultstatus erreicht hat. Carl Rüttis Lied «I wonder as I wander» wurde nicht nur dreimal ins Programm des King’s College Choir aufgenommen, sondern von BBC auch dreimal im Konzertzusammenschnitt ausgestrahlt. Eine grosse Ehre für jeden Musiker. Dass er bei anderer Gelegenheit gar als englischer Komponist aufgeführt wurde, löst bei Carl Rütti ein Schmunzeln aus.

Spartenübergreifend

Die Beachtung, die seine Werke finden, freut den Musiker natürlich sehr. Obwohl er keine seiner Kompositionen oder Musiksparten der anderen vorzieht. Es sei immer das, woran er gerade arbeite, das er mag, sagt er. Meist sind das mehrere Aufträge parallel. So etwas hat durchaus Vorteile. Manchmal kommt es sogar vor, dass eine musikalische Idee, die ihm beim einen Stück gekommen ist, perfekt bei einem anderen passt. Bedenkt man, dass Carl Rüttis stilistische Bandbreite von Chorwerken über

liturgische Musik und Kammermusik bis hin zu Stücken für Brassband reicht, erscheint dieser Aspekt besonders spannend.

Gerade hat Carl Rütti die Arbeit zu Ehren des Urner Malers Danioth abgeliefert. Das Stück, mit dem er sich jetzt vorwiegend beschäftigt, ist selbst für den gestandenen Komponisten ein ziemlicher Brocken. Es ist ein Auftragswerk der Ingenbohler Schwestern zur 150-Jahr-Feier der Ordensgründung durch Maria Theresia Scherer. Eine Art Chronik und das Leben von Mutter Theresia. Aber es spielt noch viel mehr hinein, inhaltlich und formal. Es ist ein spartenübergreifendes Projekt mit Theater, Chor, Orchester, Ballett und Pantomime. Nicht nur den Text, sondern ein eigentliches Drehbuch geschrieben hat die 86-jährige Ordensfrau Silja Walter. Mit ihr arbeitet Carl Rütti immer wieder gerne zusammen. Frühere gemeinsame Projekte sind etwa der Zyklus «Verena die Quelle» und der «Solothurner Kreuzweg», zusammen mit der Zuger Malerin Maria Hafner. «Ich verstehe ihre Sprache sehr gut. Durch sie höre ich die Musik», erklärt er.

Dennoch: Zweieinhalb Stunden zu vertonen, ist kein leichtes Unterfangen. Von der ursprünglichen Form mit Sinfonieorchester und Opernsängern hat Carl Rütti auf die Besetzung mit Streichquintett, Holzbläserquartett, Blechbläserquartett, Troubadourgruppe und zwei Chöre gewechselt. Gerade die Troubadoure würden sehr gut in die Zeit Franz von Assisis passen, sagt Carl Rütti.

Der Komponist als Archäologe

Trotz der Fülle an unterschiedlichen Kompositionen fällt doch der beachtliche Anteil an geistlicher Musik auf. Braucht es dazu ein besonders tiefes Verständnis, den eigenen festen Glauben? «Sobald es ums Schöpferisch-Kreative geht, hat es mit Glauben zu tun», ist Carl Rütti überzeugt. Überzeugt muss er auch von der Idee sein, bevor er einen Auftrag annimmt. Dabei sind es nicht nur die grossen Inszenierungen, die ihn faszinieren. Gerade für kleinere Besetzungen, bei denen jedes Instrument

Verantwortung trägt, hat er eine besondere Vorliebe. «Aus unmöglichen Besetzungen etwas machen, das ist das Spannende», sagt er. Nicht unmöglich, aber doch sehr besonders war die Arbeit für ein Glasharfentrio. Die Musiker wollten, dass er für sie das für die Glasharfe sinnige Gedicht «Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen» vertont. Er habe sich wie ein Archäologe gefühlt, der Fragmente findet, erinnert sich Carl Rütti. Ein schönes Beispiel auch für die feinfühlige Arbeitsweise des

Komponisten, welche die Wertschätzung der Musiker ihm gegenüber erklärt.

Die Übergabe des Anerkennungspreises 2005 findet am Samstag, 5. November, in Zug statt.